Epidemiologische Modellierung: Pandemie-Intervention
Schlüsselbereich 1
Koordination: Universitätsmedizin Göttingen
Die aktuelle Pandemie zeigt, wie entscheidend die dynamische epidemiologische Überwachung der Infektionsausbreitung ist. Gleichzeitig steht die schnelle epidemiologische Validierung populationsbezogener Interventionsmaßnahmen, die Überprüfung ihrer Wirksamkeit und die Entwicklung digitaler Überwachungs- und Meldesysteme im Vordergrund. In diesen Bereichen hat Göttingen Pionierarbeit zur Bewertung der Wirksamkeit der infektionsepidemiologischen Interventionen geleistet.
So ist in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Initiativen zur epidemiologischen Modellierung im Zusammenhang von SARS-CoV-2 Infektionen und COVID-19 entstanden. Diese profitieren insbesondere vom Fokus des Göttingen Campus auf die Datenwissenschaften z.B. Einrichtung einer Reihe von Tenure-Track-Professuren im Bereich der Datenwissenschaften mit Förderung durch das Bundes-Programm (Nachwuchspakt). Zudem ist dieser junge und dynamische Bereich am Standort Göttingen bereits gut organisiert, zum einen durch die interdisziplinären, fakultätsübergreifenden Zentren für Angewandte Informatik (ZAI) und Statistik (ZfS) und zum anderen durch neue Strukturen wie das Sino-German Institute of Social Computing und das Campus-Institut Data Sciences (CIDAS).
Forschungsziele
In den vergangenen Monaten sind bereits eine Reihe von Initiativen angestoßen worden, um epidemiologische und klinische Datensätze im Zusammenhang mit SARS-CoV-2-Infektionen und COVID-19 zu sichern und zu kurieren, d.h. den FAIR-Prinzipien folgend der Wissenschaft zugänglich zu machen. Die sogenannten Datenwissenschaften, inklusive Informatik, Mathematik und Statistik, sollen durch weiterführende und neue Modellierungsansätze dazu beitragen, dass Fächer wie die Medizin und Epidemiologie aber auch die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften neue Erkenntnisse aus bereits bestehenden Daten gewinnen können. Die Forschungsansätze umfassen die folgenden Bereiche.
Systematische Reviews und Meta-Analysen von epidemiologischen Modellen
Eine Reihe von Modellen zur Vorhersage von SARS-CoV-2 Infektionen wurden vorgeschlagen. Die Modelle unterscheiden sich nicht nur in den Prädiktionen, sondern auch in den Parametern, die spezifiziert werden müssen, und den Daten, auf denen sie beruhen. Eine systematische Erhebung und Beurteilung fehlt allerdings derzeit. Hier sind aus Sicht der Anwender*innen sowohl Voraussetzungen, wie die Notwendigkeit, eine Vielzahl von Modellparametern spezifizieren zu müssen, als auch Zugang zu relevanten Daten zu haben, zu bewerten. Zudem werden die statistischen Eigenschaften der Prädiktion (z.B. Verzerrung, Unsicherheit) bestimmt. Da sich das Feld dynamisch bewegt, ist eine zeitnahe und kontinuierliche Erfassung, Systematisierung und Bewertung nötig.
Gezielte epidemiologische Erhebungen
Wie oben beschrieben werden in vielen Bereichen nun systematisch Daten erhoben. Es bestehen aber nach wie vor Lücken in Bezug auf bestimmte Bevölkerungsgruppen, die z.B. durch besondere Risikofaktoren, ihre Lebensumstände (z.B. Heimbewohner) oder ihre berufliche Tätigkeit (wie jüngst im Zusammenhang mit den Ausbrüchen im fleischverarbeitenden Gewerbe deutlich wurde) charakterisiert sind. Zudem gilt den Entwicklungen in sogenannten Hotspots mehr Aufmerksamkeit.
Adaptive Infektionskontrolle
Aufgrund der derzeitigen Entwicklung der Pandemie hin zu stark lokalisierten Ausbruchsherden, die auf sehr kurzen Zeitskalen eine hohe Dynamik entwickeln können, sollen epidemiologische Modelle zur Infektionsdynamik in verschiedenen Settings mit einer computerassistierten Entscheidungsunterstützung zur adaptiven Surveillance dieser Bereiche bei aktueller regionaler Prävalenz und lokaler Inzidenz sowie der spezifischen Risikosituation der potenziell Betroffenen verknüpft werden. Ziel ist die effiziente und effektive Infektionskontrolle. Basierend auf den Surveillancedaten sollen in einem weiteren Schritt auf Basis eines computergestützten Expertensystems auch Unterstützung bei der Entscheidung über Maßnahmen wie z.B. der Ressourcenallokation für COVID-19 Fälle oder Quarantänemaßnahmen liefern.
Projekte mit beispielhaftem Charakter
Beispielhaft für die Initiativen zur epidemiologischen Modellierung am Standort Göttingen seien die folgenden Projekte genannt:
- Am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat eine Arbeitsgruppe um Dr. Viola Priesemann ein Modell zur Ausbreitung der SARS-CoV-2-Pandemie in Deutschland entwickelt, das insbesondere darauf abzielt, die Effekte der eingeleiteten Maßnahmen zur Ausbreitung der Epidemie in Deutschland zu erfassen.
- Am interdisziplinären Zentrum für Statistik der Georg-August Universität Göttingen sind in den letzten Wochen mehrere Anträge und Studienentwürfe zur epidemiologischen Untersuchung von COVID-19 formuliert worden. Diese Initiativen profitierten insbesondere von der Expertise der Arbeitsgruppe von Prof. Thomas Kneib im Bereich der räumlich-zeitlichen Modellierung von stochastischen Prozessen.
- Am Institut für Medizinische Statistik der Universitätsmedizin Göttingen (Direktor: Prof. Tim Friede) der Universitätsmedizin wurde Mitte März 2020 zeitnah eine „R Shiny“ App zur lokalen Vorhersage von SARS-CoV-2 Infektionen sowie damit verbundenen Hospitalisierungen, insbesondere mit intensivmedizinischer Versorgung, entwickelt. Zudem hat das Institut für Medizinische Statistik im Bereich der klinischen Epidemiologie einige Beiträge im Zusammenhang mit COVID-19 geleistet. Hier seien z.B. eine Kohorte zur Untersuchung von Nierenbeteiligung bei COVID-19 (Koordination: Prof. med. Oliver Gross) sowie einige methodische Beiträge zu klinischen Studien bei COVID-19 genannt.
- Das Institut für Krankenhaushygiene und Infektiologie und das Institut für Medizinische Informatik haben in Kooperation mit dem Institut für Medizinische Informatik der MHH und dem HZI ein modellbasiertes System zur Erkennung von nosokomialen Infektionen entwickelt und dies für COVID-19 Infektionen erweitert.
Mobiles digitales Überwachungstool namens SORMAS
Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System
Einen entscheidenden Beitrag zur Überwachung und Management von COVID-19 hat das HZI durch die Bereitstellung eines innovativen mobilen digitalen Überwachungstools namens SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System) geleistet, das im Zuge der Ebola Pandemie von Prof. Gérard Krause und Kolleg*innen entwickelt wurde und seit Februar international zur Bekämpfung von COVID-19 Anwendung findet.
Neben dem Einsatz in Afrika (Ghana, Nigeria) konnte SORMAS bereits in einigen europäischen Anrainerstaaten implementiert werden. Für den nationalen Einsatz von SORMAS wurde die Software speziell auf die Bedürfnisse in Gesundheitsämtern angepasst, um die Infektionsüberwachung und Nachverfolgung von Kontakten effizienter zu gestalten. Ein Einsatz in allen deutschen Gesundheitsämtern ist geplant.
Koordination HZI
Zudem koordiniert das HZI ein internationales Projekt zur Erhebung von klinischen, epidemiologischen und immunologischen Daten, auf denen aufbauend weitere Entscheidungen in der COVID-19 Krise getroffen werden können.
Weitere wichtige Anhaltspunkte für die Bewältigung der Pandemie konnte das HZI gemeinsam mit Partnern aus der Wissenschaft und Wirtschaft durch mathematische Modellierungen erzielen. Dabei beschrieben HZI-Wissenschaftler (Prof. Michael Meyer-Hermann) eine Methode, um die Reproduktionszahl auf Landesebene täglich neu zu berechnen, um so Anhaltspunkte für die weitere Entwicklung der Infektionsausbreitung zu liefern. Eine vielbeachtete Studie gemeinsam mit dem ifo-Institut verdeutlichte durch mathematische Modellierungen die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Beschränkungsmaßnahmen.
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