Die Psyche bei Herzschwäche: Positionspapier veröffentlicht
(umg) In Deutschland leiden zwei bis drei Millionen Menschen an einer Herzschwäche (Herzinsuffizienz), jährlich kommen 300.000 neue Krankheitsfälle dazu. Die chronische Herzschwäche ist keine eigenständige Krankheit, sondern eine Folgeerscheinung anderer Herzleiden. Etwa 70 Prozent der Fälle gehen aus der koronaren Herzkrankheit und Bluthochdruck, oft in Kombination mit Diabetes, hervor. Aber auch defekte Herzklappen, Herzmuskelentzündungen, Vorhofflimmern oder angeborene Herzfehler können Ursachen der Herzschwäche sein. Die Entstehung vieler Herzerkrankungen wird durch psychische und soziale Belastungen sowie durch das Verhalten der Patient*innen mitbestimmt. Zugleich kann eine Herzkrankheit Ängste, Stress und Depressionen auslösen, die sich wiederum in Herzbeschwerden äußern und zu Komplikationen führen können.
Ein umfassendes Positionspapier zum wissenschaftlichen Stand und zur klinischen Bedeutung psychosozialer Fragen für das Krankheitsbild Herzinsuffizienz hat jetzt eine Arbeitsgruppe von zwölf europäischen Wissenschaftler*innen mit psychokardiologischer Expertise erarbeitet. Maßgeblich beteiligt war dabei der Göttinger Psychokardiologe Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG). Die European Association of Preventive Cardiology (EAPC) hatte die Wissenschaftler*innen im Jahr 2019 mit dem Positionspapier beauftragt. Die Erkenntnisse und Positionen wurden Anfang Februar 2022 im European Journal Preventive Cardiology (EJPC) publiziert.
Originalpublikation: Karl-Heinz Ladwig, Thomas C. Baghai, Frank Doyle, Mark Hamer, Christoph Herrmann-Lingen, Evelyn Kunschitz, Cédric Lemogne, Margarita Beresnevaite, Angelo Compare, Roland von Känel, Hendrik B. Sager, and Willem Johan Kop. Mental Health-Related Risk Factors and Interventions in the Clinical Care of Patients with Heart Failure. A Position Paper endorsed by the European Association of Preventive Cardiology (EAPC). EJPC, 1. February 2022, doi.org/10.1093/eurjpc/zwac006
In ihrem Positionspapier formulieren die zwölf Expert*innen sechs Kernaussagen zum aktuellen Stand der Forschung und zu zukünftigen Therapiemaßnahmen. „Die Bedeutung psychosozialer Risikofaktoren für die Entstehung und den Verlauf der Herzinsuffizienz wird in der Kardiologie unterschätzt“, sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen. „Unser Papier trägt die wissenschaftlichen Erkenntnisse von großangelegten Bevölkerungsstudien zusammen. Dabei zeigt sich, dass insbesondere Depression, soziale Isolation und Einsamkeit im klinischen Alltag stärker berücksichtigt werden müssen.“
Der schwerwiegende Verlauf einer Herzschwäche kann die Psyche der Patient*innen stark belasten und dadurch die Behandlung der Erkrankung beeinflussen. Bleibt das Gefühl von Hoffnungslosigkeit über einen längeren Zeitraum bestehen, kann eine Depression entstehen. Diese wiederum führt durch verschiedene biologische Auswirkungen (z.B. neuro-endokrine oder entzündliche Prozesse) zur Verschlechterung der Herzschwäche. „Daher sollte die Aufmerksamkeit für die seelischen Komplikationen der Erkrankungen wichtiger Bestandteil der therapeutischen Begleitung der Herzinsuffizienz-Patient*innen sein“, sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen.
Angesichts der bislang wenig erfolgreichen Therapiemöglichkeiten einer die Herzinsuffizienz begleitenden Depression fordert die Arbeitsgruppe, dass Psychiater*innen und Psychosomatiker*innen bei der Behandlung hinzugezogen werden. Viele Patient*innen werden außerdem durch das Fortschreiten der Krankheit traumatisiert und versuchen, die Krankheitsrealität zu verleugnen. Hierdurch wird die geforderte Mitarbeit und Selbstfürsorge der Patient*innen erschwert. In diesen Fällen werden neue psychologische Gesprächstechniken und ergänzende telemedizinische Behandlungskonzepte empfohlen.
Wenn die Herzschwäche weiter fortschreitet, sind einige Patient*innen auf eine Implantation eines Defibrillators oder im End-Stadium der Erkrankung auf ein Linksherz-Unterstützungs-System (LVAD) angewiesen. Der Eingriff und die Auswirkungen sind für viele Betroffene belastend. Daher fordert die Arbeitsgruppe auch in diesem Fall die psychologische Unterstützung und Begleitung als wesentlichen Bestandteil des Behandlungsplans. Zudem spricht sie sich dafür aus, eine stationäre oder ambulante palliative Versorgung früh anzubieten. „Patient*innen, ihre betreuenden Angehörigen und das behandelnde medizinisch-pflegerische Personal sollten in die Entscheidungsprozesse, auch über Entscheidungen zum Lebensende, einbezogen werden. Für die Umsetzung werden wir Trainings-Curricula für die Beteiligten entwickeln“, sagt Prof. Dr. Herrmann-Lingen.
„Das Positionspapier enthält wichtige Aussagen und begleitende, psychologische Behandlungskonzepte für Patient*innen mit Herzinsuffizienz. Herzerkrankungen stellen für viele Patient*innen sowie deren Angehörige eine erhebliche Belastung dar. Daher ist die Psychokardiologie eine wichtige Ergänzung der biomedizinischen Hochleistungsmedizin im Herzzentrum“, sagt Prof. Dr. Gerd Hasenfuß, Direktor der Klinik für Kardiologie und Pneumologie und Vorsitzender des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen.
Die Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie mit der Station 2024 ist Teil des Herzzentrums der Universitätsmedizin Göttingen. Die enge Vernetzung mit den Mitgliedern des Herzzentrums ermöglicht eine intensive Zusammenarbeit von Ärzt*innen, Psycholog*innen, Pflege-Fachkräften sowie Spezialtherapeut*innen und bietet somit eine optimale, ganzheitliche Versorgung der Herzpatient*innen.
WEITERE INFORMATIONEN
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Prof. Dr. Christoph Herrmann-Lingen
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Telefon: 0551/ 39-64901
E-Mail: kkrakow@gwdg.de