Wie Zellen altern: Gene werden im Alter schneller und fehlerhafter abgelesen
(umg) Das Erbgut aller Lebewesen enthält Informationen für die Herstellung lebenswichtiger Zellbausteine, die Proteine, die für die Aufrechterhaltung der Zellfunktion notwendig sind. Ein wichtiger Schritt in dem Prozess der Proteinherstellung ist das Ablesen und Kopieren dieser Informationen aus bestimmten Abschnitten im Erbgut, den Genen. Diese Aufgabe übernimmt das Enzym RNA-Polymerase II.
In einem Kooperationsprojekt haben Wissenschaftler*innen aus insgesamt sechs Forschungslaboren der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), des Alternsforschungs-Exzellenzclusters CECAD der Universität zu Köln und des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns die Geschwindigkeit des Ablese- und Kopierprozesses der Gene genauer untersucht. Junges und alterndes Gewebe aus fünf verschiedenen Spezies nahmen sie dafür unter die Lupe: Fadenwürmer, Fruchtfliegen, Mäuse, Ratten und Menschen. Die Forschenden fanden heraus, dass die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit, mit der das Erbgut abgelesen und kopiert wird, mit zunehmendem Alter zunimmt. Zugleich nimmt die Qualität und Genauigkeit der auf Basis dieser Kopien hergestellten Proteine ab. Die weitere Verarbeitung der erstellten Kopie wird dabei ebenfalls beeinträchtigt. Gleichzeitig entdeckten die Wissenschaftler*innen, dass sich die Polymerase II-Geschwindigkeit durch Nahrungseinschränkungen und molekulare Eingriffe verringern lässt. Dies führte bei den Fliegen und Würmern zu einer verlängerten Lebensspanne und bei menschlichen Zellen zu einer erhöhten Zellteilungsrate.
„Diese Erkenntnisse zeigen, dass es Maßnahmen gibt, die die Genauigkeit dieses altersbedingten Prozesses wiederherstellen und sich somit als Schlüssel für gesundes Altern erweisen könnten. Was wir jetzt verstehen müssen, ist, ob andere wichtige zelluläre Prozesse mit dem Alter an Genauigkeit verlieren und wie genau dieser Verlust mit dem Auftreten von Krankheiten im späteren Leben, einschließlich Krebs, zusammenhängt“, sagt Prof. Dr. Argyris Papantonis, Leiter der Arbeitsgruppe Translationale epigenetische Biologie des Instituts für Pathologie der UMG und einer der federführenden Autoren der Studie. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht in der internationalen Fachzeitschrift „Nature“.
Originalveröffentlichung: Debès C, Papadakis A, Grönke S, Karalay Ö, Tain L, Mizi A, Nakamura S, Hahn O, Weigelt C, Josipovic N, Zirkel A, Brusius I, Sofiadis K, Lamprousi M, Lu YX, Huang W, Esmaillie R, Kubacki T, Späth MR, Schermer B, Benzing T, Müller RU, Antebi A*, Partridge L*, Papantonis A*, Beyer A*: Aging-associated changes in transcriptional elongation influence metazoan longevity: Nature 616; pp. 814–821 (2023). DOI: 10.1038/s41586-023-05922-y
FORSCHUNGSERGEBNISSE IM DETAIL
Eine Verlangsamung der RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit verlängert die Lebensspanne und verbessert die Gesundheit
In mehreren Einzelexperimenten zu Detailfragen fanden die Forschenden heraus: Nicht nur die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit nimmt mit dem Alter zu, sondern sie lässt sich auch beeinflussen. Es gelang ihnen, die Geschwindigkeit der Polymerase II durch Nahrungseinschränkungen und molekulare Eingriffe zu verringern. Damit ließ sich die Lebensspanne der Fliegen und Würmer verlängern und die Fähigkeit menschlicher Zellen, sich weiter zu teilen, erhöhen.
Um festzustellen, ob Geschwindigkeitsveränderungen des Enzyms RNA-Polymerase II mit dem Alterungsprozess zusammenhängen, wurden Fadenwürmer und Fruchtfliegen genetisch so verändert, dass sie eine verlangsamte Polymerase II aufwiesen. Beim Vergleich der Lebensspanne von genetisch veränderten Tieren mit der von genetisch nicht veränderten Fadenwürmern und Fruchtfliegen stellten die Forscher*innen fest: Würmer mit dem verlangsamten Enzym lebten im Durchschnitt circa 20 Prozent länger als ihre normal alternden Artgenossen. Bei den Fliegen verlängerte sich die Lebenszeit um durchschnittlich circa zehn Prozent.
Untersuchungen des Rachenmuskels von genetisch-veränderten älteren Fadenwürmer zeigten: Im Vergleich mit Rachenmuskeln bei unveränderten Würmern weisen sie eine erhöhte Kontraktions- und Entspannungsbewegung auf. Diese ist für die Nahrungsaufnahme wichtig. Eine Verlangsamung der RNA-Polymerase II kann so offenbar auch den Gesundheitszustand positiv beeinflussen.
Nahrungseinschränkung und molekulare Eingriffe können die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit beeinflussen
Der Einfluss bereits bekannter lebensverlängernder Maßnahmen, wie zum Beispiel eine Ernährungseinschränkung, auf die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit wurde überprüft. Hierzu wurden acht Wochen alte Mäuse in zwei Gruppen eingeteilt: Die eine Gruppe durfte vier Wochen lang so viel fressen, wie sie wollte, die andere Gruppe wurde auf Diät gesetzt. Anschließend analysierten die Forschenden die Enzym-Geschwindigkeit im Nierengewebe.
In einem weiteren Experiment sollte der Effekt der Nahrungseinschränkung bei jungen und alten Mäusen miteinander verglichen werden. Hierzu wurde die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit im Lebergewebe von 5, 16 und 26,5 Monate alten Mäusen untersucht. Junge wie alte Mäuse erhielten vier Wochen lang entweder eine mehr als ausreichende Futtermenge oder eine Diät.
Bei Fadenwürmern und Fruchtfliegen schalteten die Forschenden einen Signalweg in den Körperzellen aus, der bereits aus anderen Studien dafür bekannt ist, das Altern zu steuern. Die Geschwindigkeit der RNA-Polymerase II wurde in 14-Tage alten Fadenwürmern und in den Gehirnen von Fruchtfliegen nach 30 und 50 Tagen untersucht und jeweils mit gleichaltrigen genetisch nicht-veränderten Artgenossen verglichen.
„Die Ergebnisse zeigen, dass lebensverlängernde Maßnahmen, wie eine Diät oder das Ausschalten eines für das Altern bekannten Signalweges, die RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit in fast allen untersuchten Spezies verringern konnten. Das heißt, dass sich die mit dem Alter zunehmende RNA-Polymerase II-Geschwindigkeit in den meisten Fällen mit lebensverlängernden Maßnahmen rückgängig machen lässt“, so Papantonis.
WEITERE INFORMATIONEN
Universitätsmedizin Göttingen, Georg-August-Universität
Institut für Pathologie
Prof. Dr. Argyris Papantonis
Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen
Telefon 0551 / 39-65734
argyris.papantonis(at)med.uni-goettingen.de
papantonislab.eu